Japan hat eine der höchsten Lebenserwartungen der Welt mit durchschnittlich 84,5 Jahren (87,2 Jahre für Frauen und 81,7 Jahre für Männer), ein Trend, der seit 2000 stetig zunimmt (WHO, 2021). Ein bemerkenswertes Merkmal des japanischen Gesundheitssystems ist die allgemeine Krankenversicherung, die sicherstellt, dass Patienten bei Bedarf problemlos auf fachärztliche Versorgung zugreifen können. Die durchschnittliche Krankenhausaufenthaltsdauer für die allgemeine Akutversorgung in Japan beträgt etwa zwei Wochen und ist eine der längsten unter den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD | 2019). Solche Zeiträume können eine wirtschaftliche Herausforderung sein, ermöglichen den Ärzten aber, postoperative Wunden sorgfältig zu betreuen und postoperative Wundinfektionen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Japan hat spezielle Ernährungspraktiken und eine der niedrigsten Fettleibigkeitsraten unter den OECD-Ländern (2019). Die höheren Fettleibigkeitsraten in Europa und den Vereinigten Staaten können die perioperative Behandlung erschweren und das Risiko von Komplikationen erhöhen. 

Ein weiterer Unterschied besteht in den Bade- und Hygienepraktiken. Japanische Häuser verfügen oft über geräumige Badezimmer mit eigenen Waschbereichen und Handbrausen mit Hochdruck. Das könnte ggf. ursächlich für eine bessere präoperative Hygiene sein und möglicherweise auch zu einer verbesserten postoperativen Lebensqualität beitragen. 

Schnittpflege und Verbandwahl bei Operationswunden

Im Juli 2024 haben sich Kliniker in Tokio anlässlich einer Podiumsdiskussion zum Thema “Schnittpflege und Verbandsauswahl für saubere chirurgische Schnitte” getroffen. Gegenstand der Diskussion war die postoperative Wundversorgung nach orthopädischen Eingriffen. Zu mehreren Punkten haben die teilnehmenden Kliniker einen Konsens gefunden:

Chirurgische Vorgehensweise

Um das Risiko postoperativer Wundkomplikationen zu verringern, wurden folgende chirurgische Vorgehensweisen empfohlen:

  • Sicherstellung einer präzisen Platzierung des Einschnitts unter Beachtung der Hautausrichtung beim Nähen
  • Durch sorgfältiges, schichtweises Nähen wird eine subkutane Flüssigkeitsansammlung verhindert
  • Aufrechterhaltung der Hämostase zur Verringerung der Bildung subkutaner Hämatome
  • Behandlung von postoperativem Wundexsudat
  • Verwendung von Hautnähten, sofern angemessen, außer bei offenen Frakturen
  • Durch den Einsatz antimikrobieller Widerhakennähte wird die Operationszeit verkürzt und das Risiko nahtbedingter Abszesse verringert.

Verbandwechsel

Die Teilnehmer waren sich einig, dass häufige Verbandwechsel im Allgemeinen vermieden werden sollten, bis die Wundheilung abgeschlossen ist. In Fällen, in denen eine verzögerte Heilung an den Wundrändern beobachtet wird, kann eine längere Verbandanwendung erforderlich sein. Der Wundverschluss sollte sorgfältig und präzise durchgeführt werden, da das kosmetische Erscheinungsbild oft sichtbar ist und die Zufriedenheit der Patienten mit ihren Operationsergebnissen erheblich beeinflussen kann. 

Umgekehrt wurde eine frühzeitige Verbandsentfernung als vorteilhaft angesehen, wenn Anzeichen einer möglichen postoperativen Wundinfektion erkennbar sind. Eine engmaschige postoperative Überwachung ist insbesondere bei älteren Patienten mit beeinträchtigtem Ernährungszustand wichtig, da bei ihnen ein erhöhtes Komplikationsrisiko bestehen kann. 

Ungestörte Wundheilung

Die Teilnehmer waren sich einig, dass das Konzept der „ungestörten Wundheilung“ (UWH) für die Weiterentwicklung der postoperativen Wundversorgung von großer Bedeutung ist. Zu den wichtigsten Punkten des Konsenses gehörten die folgenden:  

  • UWH ist von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung des Verständnisses der postoperativen Wundversorgung
  • Die Verhinderung bakterieller Kontamination ist bei der postoperativen Wundbehandlung von entscheidender Bedeutung
  • Das längere Tragen von Verbänden kann für Patienten nach einer Operation von Vorteil sein, da:
    • Verbesserung des Wundmilieus und Förderung der UWH
    • Verringerung des Risikos einer bakteriellen Kontamination und Infektion im Zusammenhang mit häufigen Verbandwechseln
    • Zeitersparnis für medizinisches Fachpersonal 
    • Potenzielle Senkung der Gesundheitskosten.

Umgekehrt haben die Teilnehmer mehrere Situationen identifiziert, in denen UWH möglicherweise nicht erreichbar ist: 

  • Übermäßiges Wundexsudat, Blutungen oder Auslaufen des Verbandes
  • Schlechte Wundnaht, was zu einer Verschiebung der Wundränder führt
  • Schlechte Haftung des Verbandmaterials (z. B. Ablösen)
  • Lokale oder systemische Anzeichen einer Infektion (z. B. Schmerzen, Rötung, Schwellung oder andere Anzeichen an der Wunde)
  • Entwicklung einer Kontaktdermatitis oder einer allergischen Reaktion um die Wunde herum
  • Erhöhtes Risiko einer fäkalen Kontamination auf der Wundseite.

Während des Treffens wurde betont, dass Faktoren wie Operationstechnik, Aktivitätsniveau des Patienten, Serumalbuminspiegel und kognitive Funktion bei der Beurteilung des Wundheilungsfortschritts berücksichtigt werden sollten. Es wurde auch empfohlen, in Japan übliche Badepraktiken wie Baden zu Hause oder in heißen Quellen zu vermeiden, während Verbände angelegt sind. Um eine optimale Wundheilung zu unterstützen, sei es wichtig, den Patienten klare Hinweise zu geben, wann sie wieder sicher baden können.

In Japan liegt die Verantwortung für die Wundversorgung während des Krankenhausaufenthalts bei den Ärzten. Daher kann die Standarddauer der postoperativen Verbandanwendung je nach Art des chirurgischen Eingriffs, regionalen oder krankenhausspezifischen Richtlinien und den Präferenzen von Ärzten und Pflegepersonal variieren.

Quelle: Frei übersetzter Auszug aus einem Beitrag bei Wounds International, 06.01.2025 | Hier kann →der komplette Text als PDF heruntergeladen werden (engl.).