Behandlung chronischer Wunden – eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung

10.04.2017 | Wundnetzveranstaltung

23. Wundnetzveranstaltung

23. Wundnetzveranstaltung

Im Februar dieses Jahres lud das Wundnetz Kiel zur 23. Veranstaltung in das Hotel ATLANTIC ein. Spannung und große Erwartungen lagen bei den 80 Veranstaltungsteilnehmern in der Luft, denn das Thema der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung in der Therapie chronischer Wunden wurde gerade in den letzten Monaten heiß diskutiert.

Der Referent Lars Oldenburg, Teamleiter der Abteilung Rechnungsprüfung des Geschäftsbereiches Pharma/Verbandsstoffe in der AOK NordWest, ist als engagierter und interessierter Vertreter der GKV bekannt, der Dinge kritisch hinterfragt und sich zusätzliches Wissen aneignet. Bereits zu Beginn, während der detaillierten Beschreibung der einzelnen GKV-Leistungen, ergaben sich interessante Diskussionspunkte:

  • Wonach richtet sich die Aufnahme neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog? (Oft fehlen aussagekräftige Langzeit-Studien. Die meisten Studien werden von Herstellerfirmen finanziert und sind damit subjektiv. Derzeit wird die Vakuumtherapie heiß diskutiert und verschiedene Studien laufen im ambulanten Bereich.)
  • Sollten in der Abrechnung der ärztlichen Leistung nach EBM auch erfolgsorientierte Gebührenziffern eingeführt werden? (Gerade in der Wundversorgung könnte es sinnvoll sein, erste Ansätze gibt es innerhalb von individuellen Verträgen.)
  • Wie kann man in der stationären Behandlung den „Drehtüreffekt“ vermeiden? (Durch ein gut organisiertes Entlassmanagement und ein funktionierendes Netzwerk kann der Patient optimal ambulant betreut werden. Diese Netzwerk lebt von den einzelnen Personen, die miteinander kommunizieren müssen.)
  • Wodurch unterscheidet sich die Abrechnung von Verbandsstoffen und Medizinprodukten in der Apotheke von anderen Leistungserbringern? (Apotheke: überwiegend Abrechnung über Rechenzentrum zum AEP; Leistungserbringer: Direktabrechnung mit KV zum AEK; nicht apothekenpflichtig)
  • Welche Bedingungen müssen für eine langfristige Verordnung von Heilmitteln erfüllt sein? (Es muss sich um zugelassene Leistungserbringer mit entsprechender Qualifikation handeln und die Verordnung muss korrekt mit der entsprechenden Diagnose ausgefüllt sein.)
  • Wie kann der Leistungserbringer das Genehmigungsverfahren für dringend benötigte Hilfsmittel beschleunigen? (Oft hilft ein direktes Gespräch mit dem entsprechenden Sachbearbeiter. Auch die Zusendung von Fotodokumentationen mit dem Einverständnis des Patienten. Wir müssen mehr miteinander reden.)
  • Ist die KV in der Lage, die gesamten Patientendaten im Überblick zu erfassen, und so die Wirtschaftlichkeit der Therapien und Verordnungen einzuschätzen? (Derzeit schwierig, da die verschiedenen Abrechnungs- und Prüfungsstellen voneinander getrennt arbeiten und teilweise extern vergeben sind. Geplant ist ein umfassender Digitalisierungsprozess, der eine Zusammenführung der Daten ermöglicht.)

Zum Thema der Verknüpfung der einzelnen Leistungserbringer innerhalb der Versorgung chronischer Wunden stellte Herr Oldenburg die Frage in den Raum: „Gibt es für die Wundversorgung bei der KV derzeit ein Konzept?“ Diese Frage konnte eindeutig mit einem „NEIN“ beantwortet werden, denn die Situation stellt sich wie folgt dar:

  • Die Krankenkasse kann die Wunde nicht als „Ganzes“ betrachten, es sei denn man verknüpft die Leistungsdaten (Digitalisierung nicht durchgängig gewährleistet)
  • Es existiert keine Koordination zwischen den einzelnen Leistungserbringern im Prozess.
  • Es werden keine finanziellen Anreize für einen möglichst schnellen Wundverschluss gegeben. Das heißt im Einzelnen:
    • Die Arztvergütung sieht eine Wundversorgung nur bedingt vor. Der Wundverschluss wird nicht entlohnt.
    • Apotheke, Physiotherapeut, Sanitätshaus, Pflegedienst leben von den abzurechnenden Leistungen: mehr Leistung mehr Einkommen
    • Die Krankenkassen erhalten für chronische Wunden zur Zeit keine zusätzlichen Zuweisungen.
  • Die fehlende Mitwirkung des Patienten regelt sich nach §§ 66 SGB I (In der Praxis schwierig umzusetzen.)
  • Die ehemaligen Richtgrößen wurden seit Januar 2017 durch individuelle Ausgabenwerte M R G für Arzneimittel (auch Verbandstoffe) und Heilmittel ersetz. Der verordnende Arzt hat ein Interesse, diese Ausgaben zu kontrollieren. Aber kennt er die Preise? Sie sind nicht in der Arztsoftware hinterlegt. Er kann keine preisgünstigen vergleichbaren Produkte ermitteln.
  • Eine Datenverknüpfung zwischen den einzelnen Verordnern und Leistungserbringern existiert nicht, um Kosten des einzelnen Patienten zu kontrollieren.
  • Die derzeitige unübersichtliche Produktvielfalt der Verbandsstoffe auf dem Markt erschwert eine objektive Einschätzung der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der Materialien. Es gibt 43.800 PZN, davon 27.500 aktive Verbandstoffprodukte. Oft wird verordnet, ohne dass ein Produkt bekannt ist.

Welche Lösungsansätze bieten sich demzufolge an?

  • Verordnung einer phasengerechten Wundversorgung mit eher kleinen Mengen über einen kürzeren Zeitraum
  • Bereitstellen von Preislisten durch die Industrie
  • Kritisches Hinterfragen von „Billigprodukten“ nach Therapiesicherheit und Beratung mit Wundexperten
  • Exakte Dokumentation des Wundverlaufes in Zusammenarbeit mit den Wundexperten und Pflegekräften
  • Individuelle Verträge der KV mit Arzt und Leistungserbringern, die eine erfolgsabhängige Vergütung beinhalten (Patient muss sich einschreiben)

Als eindeutiges Fazit konnten alle Teilnehmer mitnehmen, dass nur eine enge Vernetzung aller beteiligten Partner in der Wundtherapie zum Erfolg führen kann. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist und bleibt die regelmäßige Kommunikation untereinander, oft auch über den „kurzen Dienstweg“. Bestehende Situationen kann man nicht sofort verändern, aber man kann sie durch ein MITEINANDER verbessern.

Anschließend stellte der zweite Vorsitzende vom Wundnetz Kiel e.V. Axel Bethke neue Behandlungsstandards und Verfahrensstandards für das Wundnetz Kiel vor. Diese sind detailliert unter der Rubrik „Standards“. Speziell wurde darauf hingewiesen, dass eine kritische Überprüfung der übernommenen Standards vom Wundnetz Hamburg vorgenommen wird, um sicherzustellen, dass sie auch für das Wundnetz Kiel komplett akzeptabel sind. Dabei wird jeder Hinweis für Überarbeitungswünsche gern entgegengenommen. (B. Stahl, Beiratsmitglied Wundnetz Kiel)

Download: →Präsentation von Lars Oldenburg “Behandlung chronischer Wunden – eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung”


Kommende Termine

  • 10.-12.05.2017 Wundkongress in Bremen
    Eine Veranstaltung zu aktuellen Fragestellungen, die sich bundesweit und über die Grenzen hinaus an Mediziner, Pflegepersonal, Industriefirmen, Akteure des Wundmanagements im Gesundheitsbereich und Interessierte richtet.
  • 28.06.2017: 24. Veranstaltung des Wundnetzes Kiel e.V.
  • 08.11.2017: 25. Veranstaltung des Wundnetzes Kiel e.V.
  • 07.02.2018: 26. Veranstaltung des Wundnetzes Kiel e.V.

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