Die diesjährige ‘Wounds UK Annual Conference’ am 10. November 2025 in Harrogate, UK, stand unter dem Motto: „Revolutionierung der Wundversorgung: Integration von Technologie, menschlicher Berührung und Effizienz.“ Ein Schwerpunkt war die Bedeutung der menschlichen Zuwendung – besonders in der Versorgung von Menschen mit Demenz. Samantha Holloway hat in ihrem Vortrag dazu gesprochen. Hier eine kurze Zusammenfassung zentraler Aspekte ihres Vortrags und praktische Empfehlungen für den klinischen Alltag.
Blick auf die Realität: Wunden sind häufig – und oft unentdeckt
Aktuelle Daten aus der Langzeitpflege in Australien zeigen: Bis zu 78 Prozent der Menschen mit Demenz entwickeln Wunden. Am häufigsten sind dabei Druckgeschwüre, Hautrisse (Skin Tears) und Ulzera der unteren Extremität.
Die Gründe liegen auf der Hand: eingeschränkte Mobilität, reduzierte Teilnahme an Präventivmaßnahmen, kognitive Barrieren, Kommunikationsverlust, Begleiterkrankungen und Risikofaktoren wie Mangelernährung, Polypharmazie oder Inkontinenz.
Hinzu kommt ein kritisches Problem: Wunden werden häufig zu spät erkannt, weil Betroffene Beschwerden nicht äußern können oder klinische Zeichen übersehen werden. Eine strukturierte, demenzsensibel angepasste Wundüberwachung ist daher dringend notwendig.
Warum Wundversorgung bei Demenz besonders komplex ist
Menschen mit Demenz stehen in der Wundversorgung vor spezifischen Herausforderungen:
- Schmerzen oder Unbehagen können nicht klar kommuniziert werden.
- Verhaltensauffälligkeiten können Umlagerung, Verbandwechsel oder Reinigung erschweren.
- Verbände werden gelegentlich entfernt, aus Angst oder Verwirrung.
- Ernährungsprobleme und Dehydratation verschlechtern die Hautintegrität.
- Inkontinenz erhöht das Risiko feuchtigkeitsassoziierter Hautschäden.
- Multimorbidität und Polypharmazie erschweren Therapieentscheidungen.
Diese Faktoren machen deutlich: Wir brauchen einen multidisziplinären, personenzentrierten Ansatz, der Wundmanagement als Teil einer umfassenden Demenzbetreuung versteht.
Praktische Strategien für den Alltag
1. Kommunikation als therapeutisches Werkzeug
- Ruhiger, respektvoller Zugang
- Einfache, klare Sprache
- Nonverbale Signale bewusst einsetzen
- Angehörige oder Pflegepersonen einbeziehen
- Keine Eile – ausreichend Zeit zum Verarbeiten geben
- Ablenkungstechniken wie Musik, Singen oder vertraute Gegenstände in Betracht ziehen, um Angst und Furcht zu lindern.
Gut kommunizieren ist oft schon halbe Therapie.
2. Prävention priorisieren
- Konsequentes Druckmanagement
- Regelmäßige Mobilisation
- Hautpflegeprotokolle
- Risikofaktoren aktiv adressieren (Ernährung, Hydration, Kontinenzmanagement)
3. Atraumatische, schmerzarme Wundversorgung
- Atraumatische Produkte verwenden
- Sterile Klebstoffentferner nutzen, um MARSI vorzubeugen
- Validierte Schmerzskalen für nicht-verbale Patienten einsetzen (z. B. PAINAD, Abbey Pain Scale)
- Nonverbale Schmerzzeichen beobachten (Mimik, Körpersprache, Lautäußerungen)
- Verbandwechsel in ruhigen Tageszeiten durchführen
- Ablenkungstechniken nutzen: Musik, Singen, vertraute Gegenstände
4. Dokumentation & Teamarbeit
Eine präzise Dokumentation zu Verhalten, Schmerzreaktionen, Maßnahmen und Wundverlauf ist entscheidend, um Kontinuität im multiprofessionellen Team sicherzustellen.
5. Ernährung und Hydration sicherstellen
Appetitlosigkeit, Schluckstörungen oder Vergessen zu essen/trinken sind häufig – und wirken direkt auf die Hautgesundheit. Ein strukturierter Ernährungsplan ist daher unverzichtbar.
6. Schulung, Empathie und Ethik
- Zielgerichtete Schulungen zu den Herausforderungen der Wundversorgung bei Demenz, die Empathie und Geduld fördern
- Förderung einer Kultur der Achtsamkeit, um potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen
- Respekt vor Autonomie und Würde
- Einwilligung einholen – direkt oder über Bevollmächtigte
- Unnötige Belastungen vermeiden
- Wundversorgung ist nicht nur klinische Aufgabe, sondern Beziehungsarbeit
Was wir als Fachwelt jetzt brauchen
Um die Versorgung von Menschen mit Demenz nachhaltig zu verbessern, braucht es eine verlässlichere Erfassung und Überwachung von Wunden sowie wirksame Strategien zur Früherkennung, auch dann, wenn Kommunikationsbarrieren eine direkte Schmerzanamnese erschweren. Zentral ist zudem die konsequente Umsetzung personenzentrierter Versorgungsansätze, die individuelle Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Ebenso wichtig ist mehr Forschung, die Menschen mit Demenz bewusst einbezieht, statt sie aus Studien auszuschließen. Nur so können wir die Evidenzbasis erweitern und Versorgungslücken schließen. All dies gelingt jedoch nur durch eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit, die Pflege, Medizin und Angehörige zusammenführt und auf gemeinsame Ziele ausrichtet.
Kurz auf den Punkt gebracht…
Im Kern geht es um eine einfache, aber essenzielle Erkenntnis:
Hinter jeder Wunde steht ein Mensch – nicht nur ein klinischer Befund.
Wundversorgung bei Menschen mit Demenz bedeutet, technische Expertise mit Geduld, Menschlichkeit und personenzentrierter Kommunikation zu verbinden. Wenn es uns gelingt, beides zusammenzuführen, verbessern wir nicht nur Heilungsverläufe – wir verbessern Lebensqualität.
In Anlehnung an den Beitrag von Samantha Holloway: “Closing the gap: Improving wound care for people living with dementia”. In Wounds International, 05.11.2025 (→).



