Die Richtlinie nach § 63 Abs. 3c SGB V1 gibt es bereits seit 2012 und doch ist von den dort angeregten Modellvorhaben bundesweit immer noch nichts zu sehen. “Modellvorhaben…?” und “Was für ein Paragraph…?” mögen viele Leser*innen jetzt denken. Wir bringen ein wenig Licht ins Dunkel:
Eine Richtlinie nach § 63 Abs. 3c SGB V
In Langform heißt diese Richtlinie “Richtlinie über die Festlegung ärztlicher Tätigkeiten zur Übertragung auf Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege zur selbständigen Ausübung von Heilkunde im Rahmen von Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3c SGB V” und mitunter wird sie auch kurz als “Heilkundeübertragungs-Richtlinie” bezeichnet.2
Gesetzliche Krankenkassen und Leistungserbringer können danach im Rahmen von Modellvorhaben bestimmte ärztliche Tätigkeiten auf ausgebildete Kranken- und Altenpflegekräfte zur selbstständigen Ausübung (Substitution, nicht Delegation3) übertragen. Die Richtlinie bestimmt dabei Art und Umfang der Tätigkeiten sowie auch die erforderlichen Qualifikationen. Des Weiteren werden Regelungsbestandteile für die Vereinbarungen zur Durchführung von Modellvorhaben benannt.
Perspektiven für die Wundversorgung
Am Ende der Richtlinie findet sich mit “B. Besonderer Teil – Einzelne übertragbare ärztliche Tätigkeiten und Qualifikationsanforderungen” ein abschließender Katalog von Diagnosen und zugehörigen ärztlichen Tätigkeiten, auf die diese Richtlinie angewendet werden kann – darunter unter Punkt 3 die Diagnose „Chronische Wunden, z.B. Ulcus cruris”.2 Sofern hier im Rahmen eines Modellvorhabens ärztliche Tätigkeiten an qualifizierte Pflegekräfte übertragen wurden, können diese dann unter anderem
- vertragsärztliche Überweisungen zur weiterführenden Diagnostik veranlassen,
- über einzuleitende Maßnahmen des Wundmanagements eigenständig entscheiden sowie auch
- Verordnungen für z.B. manuelle Lymphdrainage und Hilfsmittel wie Gehstützen (nach Maßgabe der Heilmittel-Richtlinie) ausstellen.
Die Diagnose und deren Überprüfung sowie die Indikationsstellung selbst sollen dabei in ärztlicher Verantwortung bleiben.4
Eine wegweisende Richtlinie
Diese Richtlinie ist unserer Meinung nach nicht zuletzt auch deshalb bedeutsam, weil die Pflegekräfte im Gegensatz zu den Ärzt*innen oftmals täglich mit dem Patienten oder der Patientin zu tun haben. Die betreuenden Alten- und Krankenpfleger*innen sehen vor Ort unmittelbar, wie sich der Wundverlauf gestaltet. Bei Bedarf kann daher deutlich schneller reagiert werden. Das ist gut für die Patient*innen.
Und wenngleich sich die Gegebenheiten im Ausland nur schwer mit denen in Deutschland vergleichen lassen, ergibt sich laut Pflege-Report 2019 aus einem Cochrane-Review (Laurant et al. 2018) der Hinweis, dass Studienergebnisse nahelegen, “dass eine pflegerische Versorgung im Vergleich zur ärztlichen Versorgung bei zahlreichen Erkrankungen wahrscheinlich ähnliche oder bessere Ergebnisse erzielt”.5
Modellvorhaben, die nicht stattfinden
Zum 01.01.2020 traten Ergänzungen und Änderungen beim besagten § 63 SGB V, auch im Abs. 3c, in Kraft.1 So heißt es dort jetzt u.a.:
“Die Krankenkassen und ihre Verbände sollen entsprechende Vorhaben spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2020 vereinbaren oder durchführen.”
In einem Videointerview unterhalten sich Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Großkopf, der Herausgeber der “Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen”, und Dr. Jan Basche, Geschäftsführer der “Sozialstation Mobil” über die Heilkundeübertragungs-Richtlinie im Bereich der „Wundversorgung“. Gesprochen wird u.a. über Gründe, die der Durchführung von Modellvorhaben aktuell entgegenstehen und auch darüber, wie eine sinnvolle Ausgestaltung eines solchen Modellvorhabens aussehen könnte. Die Überschrift eines bei der Rechtsdepesche erschienen Artikels ist dabei Programm: “Wundversorgung: Lasst es uns ohne Ärzte probieren”.6
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Quellen und weitere Links:
1§ 63 Abs. SGB V in der aktuellen Fassung
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__63.html
2Die G-BA-Richtlinie von 2011/2012, über die gesprochen wird:
https://www.g-ba.de/downloads/62-492-600/2011-10-20_RL-63Abs3c.pdf
3Die Robert-Bosch-Stiftung erklärt den Unterschied zwischen Substitution und Delegation:
https://www.qualifikationsmix-pflege.de/kooperation/substitution-delegation/
4Der G-BA zur Heilkundeübertragung
https://www.g-ba.de/themen/qualitaetssicherung/weitere-bereiche/weitere-bereiche-heilkundeuebertragung/
5Ayerle G., Langer G., Meyer G. (2020) Selbstständige Ausübung von Heilkunde durch Pflegekräfte. In: Jacobs K., Kuhlmey A., Greß S., Klauber J., Schwinger A. (eds) Pflege-Report 2019. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58935-9_14. (Pflege-Report 2019, S. 179-188)
6Rechtsdepesche: “Wundversorgung: Lasst es uns ohne Ärzte probieren”
https://www.rechtsdepesche.de/wundversorgung-lasst-es-uns-ohne-aerzte-probieren/
7Die Robert-Bosch-Stiftung erklärt den Unterschied zwischen Substitution und Delegation:
https://www.qualifikationsmix-pflege.de/kooperation/substitution-delegation/
Stellungnahme des Deutschen Pflegerates zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung, 25.02.2015
https://www.bundestag.de/resource/blob/366056/de053842e53d1c4f8c3a09bc33c25096/Deutscher-Pflegerat-e-V-DPR–data.pdf