Auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie e.V. (DGMKG) und des Nationalen Zentrums für Plasmamedizin e.V. Berlin wurde bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) die erste Leitlinie zum rationalen therapeutischen Einsatz von kaltem physikalischem Plasma erarbeitet und jetzt veröffentlicht.
Leitlinien geben Empfehlungen, wie eine Erkrankung festgestellt und behandelt werden sollte. Sie richten sich vor allem an Ärztinnen und Ärzte, aber auch an Pflegekräfte und andere Fachleute im Gesundheitswesen sowie an Patientinnen und Patienten.
Direkt die Leitlinie ansehen »
Therapeutischer Einsatz von Kaltplasma als etabliertes Verfahren
„Mit der Leitlinie ist der therapeutische Einsatz von kaltem physikalischem Plasma jetzt zu einem etablierten Verfahren insbesondere bei chronischen und infektionsgefährdeten Wunden geworden“, sagte Klinikdirektorin Prof. Andrea Rau. „Die Leitlinie schafft für alle Beteiligten mehr Versorgungssicherheit und soll helfen, das Potenzial dieser neuen Technologie besser auszuschöpfen und Behandlungsfehler zu vermeiden. Nicht nur in der MKG-Chirurgie an der Greifswalder Unimedizin mit ihren komplexen plastischen Operationen ist die Plasmamedizin inzwischen ein fester Bestandteil und nicht mehr wegzudenken.“
Plasmamedizin wird, seit 2013 die ersten Geräte zugelassen worden sind, in vielen Kliniken der Universitätsmedizin Greifswald erforscht. Klinisch kommt die Plasmamedizin in Greifswald besonders dann zum Einsatz, wenn es um Wunden geht, die nicht heilen. Hier kann Kaltplasma, das zum Beispiel in einem Handgerät als ionisiertes Gas erzeugt wird und dann als körperwarmer, präzis zu führender Strahl auf eine Wundfläche einwirkt, Problemkeime berührungslos abtöten und alle Prozesse zum Verschluss der Hautdecke anregen.
„Die Mitwirkung so vieler medizinischer Disziplinen an der Leitlinie zeigt ein breitgefächertes Interesse an einer wissenschaftlich basierten und qualitätsorientierten Weiterentwicklung der Plasmamedizin für Klinik und Praxis“, ist sich Oberarzt Dr. Christian Seebauer sicher, der die Sprechstunde in der MKG-Chirurgie leitet. Ein Zeichen für die gewachsene Bedeutung der Plasmamedizin sei auch, dass die rationale Anwendung von Kaltplasma inzwischen in der neuen STERN-Ärzteliste vom 8. März 2022 als spezielle Behandlungsmöglichkeit eingeführt ist, hier im Zusammenhang mit der Dermatologischen Lasermedizin: „Plasmamedizin zur Prävention von Wundinfektionen“ (S. 143).
Hintergrund
Was ist kaltes Plasma?
Bei kaltem physikalischem Plasma im Sinne der Leitlinie handelt es sich um ionisiertes Gas im Temperaturbereich der Körpertemperatur, das durch elektrische Energie entsteht. Plasma wird mit als Medizinprodukt zugelassenen Geräten unmittelbar während der Behandlung erzeugt und angewendet. In der wissenschaftlichen Literatur und bei der medizinischen Anwendung sind weitere Bezeichnungen in Gebrauch, unter anderem Cold Atmospheric Pressure Plasma, CAP, kaltes Atmosphärendruckplasma, kaltes Plasma, Kaltplasma, physikalisches Plasma, Tissue Tolerable Plasma, Nonthermal Plasma, Niedertemperaturplasma, NTP. Ein gebräuchlicher klinischer Terminus lautet Plasma. Eine der wichtigsten Vorteile der Kaltplasmaanwendung im Vergleich mit anderen antimikrobiellen Behandlungen ist die Wirksamkeit gegen vielfach resistente Haut‐ und Wundkeime.
Was kann Plasmamedizin?
Plasmamedizin verbindet Plasmaphysik und Lebenswissenschaften in einem Forschungsgebiet, das sich mit der medizinischen Anwendung physikalischer Plasmen befasst. Die biologische und medizinisch nutzbare Wirksamkeit kalter Atmosphärendruckplasmen beruht vor allem auf der komplexen Wirkung reaktiver Sauerstoff- und Stickstoffspezies. Elektrische Felder und emittierte UV-Strahlung spielen eine unterstützende Rolle. Im Mittelpunkt des Forschungs- und Anwendungsinteresses stehen drei grundsätzliche Plasma-Effekte: Die mögliche Abtötung eines breiten Spektrums von Mikroorganismen einschließlich multiresistenter Bakterien und Viren; die Stimulation der Regeneration verletzten Gewebes durch Anregung des Zellwachstums, der Zellmigration und der Bildung neuer Blutgefäße und das Auslösen von Prozessen des regulierten Zelltodes, vor allem in Krebszellen.
Wer war an der Erarbeitung der Leitlinie beteiligt?
Deutsche Gesellschaft für Mund‐, Kiefer‐ und Gesichtschirurgie (Prof. Dr. Dr. Hans‐Robert Metelmann) • Nationales Zentrum für Plasmamedizin (Prof. Dr. Thomas von Woedtke) • Deutsche Dermatologische Gesellschaft (Prof. Dr. Steffen Emmert) • Deutsche Gesellschaft für Allgemein‐ und Viszeralchirurgie (PD Dr. Lars Ivo Partecke) • Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (Prof. Dr. Moritz Kebschull) • Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (Prof. Dr. Frank Siemers) • Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (PD Dr. Denis Gümbel) • Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (PD Dr. Lars Ivo Partecke) • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren‐Heilkunde, Kopf‐ und Hals‐Chirurgie (Prof. Dr. Ulrich Harréus) • Deutsche Gesellschaft für Zahn‐, Mund‐ und Kieferheilkunde (Prof. Dr. Thomas Kocher) • Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (Prof. Dr. Frank Siemers) • Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (Prof. Dr. Frank Tost) • Deutsche Gesellschaft für Photonik und Lasermedizin (Dr. Carsten Philipp) • Plasma Germany (Prof. Dr. Holger Kersten)
Neue Fachpublikation
Zeitgleich zur Leitlinie ist bei Springer Nature das „Textbook of Good Clinical Practice in Cold Plasma Therapy“ erschienen, an dem das Plasmamedizin-Cluster Greifswald federführend als Herausgeber mitgewirkt hat. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-030-87857-3
Weitere Informationen
http://www.plasma-medizin.de, http://www.inp-greifswald.de, http://www.neoplas.eu, http://www.awmf.org
Quelle: pi Universitätsmedizin Greifswald, 11.04.2022. Beitragsbild: Pressefoto @UMGreifswald