Mit Änderungen in der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) im August 2020 werden Evidenz, Nutzennachweise und Studien für sogenannte „Sonstige Produkte zur Wundbehandlung“ gefordert. Der Definitionsrahmen dieses Nutzenbewertungsverfahrens ist jedoch unter Fachleuten umstritten. Das neue Gesprächsformat „Eine Stunde Wunde“ des Bundesverbandes Medizintechnologie, BVMed, diskutierte am 12. Mai 2022 in seiner Auftaktveranstaltung die damit verbundenen Herausforderungen mit Expert:innen aus den verschiedensten beteiligten Disziplinen. (siehe »)

In einem Impulsvortrag hob Prof. Dr. med. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie des Städtischen Klinikums Karlsruhe, die Komplexität der Wundversorgung hervor: „Für eine erfolgreiche und qualitativ hochwertige Wundbehandlung ist es besonders wichtig, phasengerecht, also beispielsweise nach Wundstatus und Exsudatmenge, zu behandeln“. Entsprechend sei das Ziel beim Einsatz einer bestimmten Wundauflage nicht immer der Wundschluss, sondern unter anderem Schmerzlinderung, Keim- oder Geruchsreduktion. Sein Wunsch sei daher, „dass diese sekundären Endpunkte im Nutzenbewertungsverfahren den gleichen Stellenwert wie das primäre Ziel des Wundverschlusses erhalten“. „Was wir jetzt brauchen, sind gemeinsam erarbeitete Kriterien zur adäquaten Nutzenbewertung der vorliegenden klinischen Evidenz und für die Durchführung von Studien zum Nutzennachweis von sonstigen Produkten zur Wundbehandlung“, so die Moderatorin und BVMed-Expertin Juliane Pohl.

Die Abgrenzung von „Verbandmitteln“ zu „sonstigen Produkten zur Wundbehandlung“

Der G-BA hat mit Beschluss vom 20. August 2020 eine Abgrenzung von „Verbandmitteln“ zu „sonstigen Produkten zur Wundbehandlung“ vorgenommen. Diese „sonstigen Produkte zur Wundbehandlung“ werden künftig nur noch nach Abschluss eines durch den G-BA beschiedenen positiven Nutzenbewertungsverfahrens über die gesetzliche Krankenkasse erstattungsfähig sein. Eine Übergangsfrist gilt noch bis zum 2. Dezember 2023. Der Definitionsrahmen des neuen Nutzenbewertungsverfahrens ist jedoch unter Fachleuten umstritten. Daher widmete sich die erste „Eine Stunde Wunde“ des BVMed am 12. Mai 2022 dem Thema „Evidenz und Nutzennachweis“. Moderiert wurde das interdisziplinäre Forum von BVMed-Expertin Juliane Pohl, Leiterin des Referats Ambulante Gesundheitsversorgung.

Die Komplexität der Wundbehandlung

Wie komplex eine qualitativ hochwertige Wundbehandlung ist, hob Prof. Dr. med. Martin Storck in seinem Impulsvortrag in „Eine Stunde Wunde“ hervor: „Wundbehandlung bedeutet nicht nur Abdeckung“. Neben vielen Schritten, allem voran die richtige Diagnostik und Lokaltherapie, müsse jederzeit eine ganzheitliche medizinische Versorgung der Patient:innen sichergestellt werden. Häufig würden sich unter den Betroffenen beispielsweise Menschen mit vaskulären Erkrankungen, Diabetiker:innen oder Raucher:innen befinden. Dies würde eine individuelle Behandlung essenziell machen. Dabei würden bei einer Therapie meist unterschiedliche Wundauflagen zum Einsatz kommen, die unterschiedliche Bedürfnisse der Wunde stillen. „Für eine erfolgreiche und qualitative Wundbehandlung ist es besonders wichtig, phasengerecht, also beispielsweise nach Wundstatus und Exsudatmenge, zu behandeln. Auch ist der Punkt „Quality of Life“ zu berücksichtigen, betonte Storck. Entsprechend sei das Ziel beim Einsatz einer bestimmten Wundauflage nicht immer der Wundverschluss, sondern unter anderem Schmerzlinderung, die Entfernung von Belägen, Keim- und Geruchsreduktion, Mobilitätserhaltung oder ein schnellerer Wundverschluss. Als Beispiel nannte Storck palliative Wunden: „Da diese Wunden nicht zugehen, geht es bei ihrer Therapie darum, dass die Situation stabil bleibt, die Schmerzen gelindert, Keime reduziert und Amputation vermieden wird“.

Aus diesem Grund wünscht sich Storck, „dass diese sekundären Endpunkte im Nutzenbewertungsverfahren den gleichen Stellenwert wie das Ziel der vollständigen Abheilung einer Wunde erhalten“. Aktuell seien Anforderungen des G-BA an die Nachweise eher „schwammig“. „Das muss spezifiziert werden“, forderte Storck. Er gab auch zu bedenken, dass Medizinprodukte-Hersteller vorher nie Studien dieser Art benötigt hätten. „Das sind keine Pharmaunternehmen, die schon immer solche hohen Studien durchführen. Von den Herstellern wird plötzlich etwas verlangt, das sie noch nie gemacht haben“, so Storck. Einheitliche Studienkriterien sowie eine Beratung wären daher nötig. Dem stimmte Pohl zu: „Was wir jetzt brauchen, sind gemeinsam erarbeitete Kriterien zur adäquaten Nutzenbewertung der vorliegenden klinischen Evidenz und für die Durchführung von Studien zum Nutzennachweis von sonstigen Produkten zur Wundbehandlung“.

Neue Regelungen zur Erstattung von Wundauflagen

Eine aktuelle Online-Umfrage des BVMed hat ergeben: Zwei Drittel der Ärzt:innen und Pflegefachkräfte in der Wundversorgung erwarten durch neue Regelungen zur Erstattung von Wundauflagen negative Folgen für Patient:innen. Details zur Umfrage können unter www.bvmed.de/pm3422 nachgelesen werden. Der BVMed setzt sich vor diesem Hintergrund dafür ein, diese beschlossenen Regelungen kritisch für eine Umsetzung zu prüfen und mit Fachexpert:innen zu diskutieren.

„Eine Stunde Wunde“ – nächster Termin im Juli

Wundversorgung kann nur interdisziplinär funktionieren, daher muss auch der Diskurs dazu interdisziplinär sein“, erklärt Pohl die Idee für das neue virtuelle Gesprächsformat „Eine Stunde Wunde“. Bereits am 12. Mai zeigte sich ein starkes Netzwerk mit knapp 100 Teilnehmenden, darunter Pflegende, Ärzt:innen, Wissenschaftler:innen sowie Vertreter:innen von Krankenkassen, Verbänden, Unternehmen und Institutionen. Das virtuelle Forum wird künftig alle zwei Monate nachmittags die unterschiedlichen Themen der Wundversorgung diskutieren. „Wir streben einen möglichst breiten Austausch zwischen allen Beteiligten in der Behandlung, Pflege und Versorgung von Wunden an. Unser Fokus ist eine gezielte, praxisnahe Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema, die sicherlich auch interessante Perspektivwechsel ermöglicht. Diese eine Stunde hat uns schon gezeigt, wie wichtig ein interdisziplinärer und interprofessioneller Austausch ist. Interessierte sind eingeladen nicht nur daran teilzunehmen, sondern auch sich mit Themen einzubringen. Der nächste Termin ist für Mittwoch, 6. Juli 2022, 16:30 Uhr geplant“, so Pohl.

Zur Anmeldung für die zweite „Eine Stunde Wunde“ am Mittwoch, 6. Juli 2022 16:30 Uhr, senden Sie bitte eine E-Mail an: wundversorgung@bvmed.de.

Der BVMed repräsentiert rund 240 Hersteller, Händler und Zulieferer der Medizintechnik-Branche sowie Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Versorger. Die Medizinprodukteindustrie beschäftigt in Deutschland über 235.000 Menschen und investiert rund 9 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Der Gesamtumsatz der Branche liegt bei über 34 Milliarden Euro, die Exportquote bei 66 Prozent. Dabei sind 93 Prozent der MedTech-Unternehmen KMU. Der BVMed ist die Stimme der deutschen MedTech-Branche und vor allem des MedTech-Mittelstandes.

pi BVMed, 16.05.2022