„Nicht formstabile Zubereitungen zur Wundbehandlung sind keine Verbandmittel mehr“

Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 15.06.2023 die erste weitreichende Entscheidung nach Einführung des §31 Absatz 1a SGB V bekannt gegeben. Dieser Paragraph definiert den Verbandmittelbegriff und konkretisiert, welchen Anspruch auf Verordnung und Erstattung gesetzlich Krankenversicherte zukünftig haben. Dazu waren stellungnahmeberechtigte Fachgesellschaften aufgefordert worden, den Nutzen verschiedener Produktgruppen zu bewerten. Zu entscheiden hat der G-BA nun bis zum 02.12.23, dem Ende einer Übergangsfrist, in welche Kategorie konkrete Verbandmittel eingeordnet werden. Die Arzneimittel-Richtlinie unterteilt die Produkte in drei Gruppen, die in der Anlage Va, Teil 1-3 aufgeführt werden. (Siehe Übersicht: https://www.g-ba.de/downloads/17-98-5191/2021-11-05_G-BA_Grafik-AM-Anlage-Va_bf.pdf )

  • Verbandmittel, deren Hauptwirkung das Bedecken, Aufsaugen, Stabilisieren, Immobilisieren oder Komprimieren ist, bleiben auf jeden Fall weiter verordnungsfähig. (z.B. Saugkompression, Kompressionsverbände, Fixierpflaster)
  • Verbandmittel mit ergänzenden Eigenschaften, wie zum Beispiel „feuchthaltend, antiadhäsiv oder geruchsbindend“ bleiben ebenfalls verordnungsfähig, sofern sie keine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung haben. (z.B.: Salbenkompressen, aktivkohlehaltige Produkte, Superabsorber)
  • Anders sieht es für sogenannte „sonstige Produkte der Wundbehandlung“ aus. Erfüllen sie nicht die Eigenschaften der Gruppen 1 und 2 oder haben sie eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung, müssen die Hersteller deren Nutzen durch geeignete Studien nachweisen und die Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit beim G-BA beantragen.

Die aktuelle Entscheidung betrifft sogenannte „nicht formstabile Zubereitungen“, also beispielsweise Gele, Lösungen und Emulsionen, da sie entsprechend der Einschätzung des G-BA nicht die Haupteigenschaft der Gruppe 1 haben.

Wir wir gestern hier auf der Wundnetz-Kiel-Seite berichtet haben, heißt es in der Pressemeldung des G-BA vom 15.06.23 dazu: „Flüssige bis halbfeste Zubereitungen weisen nach Anwendung auf der Wunde keine feste zusammenhängende Erscheinungsform im Sinne des „Verbindens“ auf und können somit keine kontinuierliche Abdeckung zum Schutz des Wundgrundes gewährleisten. Sie erfüllen die Voraussetzungen des Bedeckens oder Aufsaugens nicht.“

Der ICW hatte eine fortgeführte Verordnungsfähigkeit gefordert

Die Initiative Chronische Wunden (ICW) e.V. hatte als medizinisch wissenschaftliche und stellungnahmeberechtigte Fachgesellschaft gegenüber dem G-BA dazu bereits im April 2022 erklärt, dass die genannten Substanzgruppen nicht aus der Verordnungsfähigkeit verschwinden sollen. Zur Begründung wurde vonseiten der ICW angeführt, dass insbesondere Hydrogele für ein sogenanntes autolytisches Debridement genutzt werden. Ein autolytisches Debridement ist selektiv, schmerzarm, einfach und sicher durchzuführen.

Somit kommt es insbesondere dann zur Anwendung, wenn ein Debridement mit mechanischen beziehungsweisen chirurgischen Mitteln nicht möglich ist oder nicht gewünscht wird. Dies ist insbesondere bei älteren und immobilen Patienten wichtig, einer Gruppe, die häufig von chronischen Wunden betroffen ist und der die stationäre Aufnahme in eine chirurgisch versierte Einrichtung sowie eine Narkose nicht zumutbar sind. Außerdem werden Hydrogele zur Rehydrierung trockener Wunden und damit Aktivierung der Wundheilung eingesetzt. Im Gegensatz zu den halbfesten Zubereitungen als Hydrogele werden die festen Hydrogelkompressen weiterhin der Gruppe 1 zugeordnet und zukünftig zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattet. Diese Differenzierung aufgrund der Konsistenz ist weder rational noch wissenschaftlich nachvollziehbar.

Die ICW bedauert somit die Entscheidung des G-BA sehr, weil die fehlende Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV eine große Lücke in das Portfolio der hydroaktiven Produkte zur Wundbehandlung reißt.

Quelle: pi ICW, 18.06.2023