„Wir brauchen für eine flächendeckende Wundversorgung in den Kollektiv- und Einzelverträgen neue Kriterien und neue Vergütungssätze. Insbesondere der Faktor Zeit muss auch an chronische und schwer heilende Wunden angepasst werden“, so das Fazit von André Lantin, Geschäftsführer der WZ-WundZentren in Düsseldorf, auf dem BVMed-Gesprächsforum „Eine Stunde Wunde“ am 2. November 2022. Aus Sicht von BVMed-Expertin Juliane Pohl funktionieren neue Konzept der spezialisierten Wundbehandlung sehr gut. „Jetzt müssen die Rahmenempfehlungen der Spitzenverbände in die Versorgungsverträge Einzug finden, um eine qualitative und zeitgemäße Patient:innenversorgung zu ermöglichen.“ Hier spielen auch digitale Anwendungen wie Videosprechstunde und Telemedizin eine wichtige Rolle: Denn sie fördern interdisziplinäre Arbeit. Strukturierte Daten könnten zudem einen Beitrag leisten, Qualität und Effektivität der Versorgung zu stärken und Versorgungslücken zu schließen. Sie ermöglichen darüber hinaus eine bessere Versorgungsforschung.
Rahmenbedingungen optimieren
In seinem Impulsvortrag betrachtete Lantin insbesondere die Neuerungen, die durch die Einführung der sogenannten Spezialisierten Versorgung chronischer und schwer heilender Wunden vorgenommen wurden. Diese bieten eine Chance zur besseren Versorgung von Wunden durch qualifizierte Pflegeexpert:innen. Doch inwiefern dies flächendeckend zum Tragen kommt, müsse sich erst zeigen. So seien die derzeitigen Rahmenbedingungen nicht optimal. Insbesondere komme es auf eine adäquate Vergütung an, damit die Spezialisierte Versorgung in die Fläche komme. Derzeit sei kaum klar, wie viele Anbieter mit entsprechend qualifizierten Pflegefachpersonen sich für diese Versorgungsform entscheiden und der Spezialisierung des Pflegeberufs folgen
Eine zentrale Rolle für eine qualitative Wundversorgung nimmt zudem die Umsetzung von Leitlinien und Expert:innenstandards ein. Branchenkenner André Lantin: „Wir haben festgestellt, dass diese Empfehlungen noch nicht zu einer wesentlichen Verbesserung der Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden in Deutschland geführt haben.“ Der Grund: Sie können nicht immer in der Praxis umgesetzt werden. „Das liegt an den Rahmenbedingungen, an der Vergütung der Wundbehandlung und somit der Zeit, die einem Patienten oder einer Patientin gewidmet werden kann“, so Lantin. So werde beispielsweise bei den Vertragspauschalen noch nicht zwischen einer akuten oder einer chronischen, schwer heilbaren Wunde unterschieden. „Der Zeitaufwand für die Behandlung komplexer chronischer Wunden ist viel höher“, erklärt Lantin.
Daten-Register vorantreiben
Und das kann Lantin anhand von Zahlen und Fakten für seine WundZentren belegen. „Von Beginn an dokumentieren wir digital und standardisiert mit über 150 festen Parametern. Diese Art der Dokumentation halte ich für besonders wichtig. Denn daraus können wir Analysen für die Versorgungsforschung erstellen, ein internes Qualitätsmanagement sicherstellen und die Versorgungseffizienz stetig steigern.“ Dabei konnten Lantin und sein Team bisher einen Datensatz von über 40.000 Patient:innen mit 76.000 behandelten Wunden sammeln. „Wir können sehen, wie viel Zeit eine leitliniengerechte Wundbehandlung in Anspruch nimmt und das auch für die einzelnen Leistungsbausteine bis hin zur Raumvor- und -nachbereitung bestimmen“, berichtet er. Die Digitalisierung würde so auch Transparenz beim Personal- und Produkteinsatz bieten, was gerade für Krankenkassen wertvoll sein könnte.
Prof. Dr. med. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie des Städtischen Klinikums Karlsruhe, bestätigte in der Veranstaltung: „Ich halte es für extrem wichtig, einen strukturierten Basisdatensatz zu haben. Wenn wir das flächendeckend einsetzen, haben wir eine sehr gute Grundlage, da wir sehr heterogene Zentren und Kollektive haben. Mein Vorschlag wäre, das voranzutreiben, um ein datenschutzgerechtes digitales Register zu bekommen.“ Ein solches Register sei auch für die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Wundversorgung eine Grundvoraussetzung, so die Teilnehmer:innen des Gesprächsforums.
Digitalisierung stärken
Bereits jetzt sei die Digitalisierung, konsequent und richtig eingesetzt, eine große Hilfe in der Wundversorgung: „Wir haben mit der ausführlichen digitalen Dokumentation und der integrierten Möglichkeit zur Telemedizin sehr gute Erfahrungen sammeln können, um Co-Behandler:innen anderer Einrichtungen vollumfänglich und unkompliziert einzubeziehen“, berichtet Lantin. Deutschland würde hier jedoch noch nicht alle Potenziale ausschöpfen.
BVMed-Expertin Juliane Pohl ist überzeugt: „Digitalisierung wird stärker in der Wundversorgung stattfinden. Ein wichtiger Schritt werden die elektronische Patientenakte (ePA) und das MIO DiGA Device Toolkit sein. Wir müssen auch darüber reden, wie Versorgungsdaten besser strukturiert und für die Vernetzung und Verbesserung der Versorgung genutzt werden können.“
Die nächste „Eine Stunde Wunde“ des BVMed findet am Mittwoch, 1. Februar 2023, statt. Anmeldung unter: https://www.bvmed.de/2023-02-01.
Über „Eine Stunde Wunde“
Wundversorgung kann nur interdisziplinär funktionieren, daher muss auch der Diskurs dazu interdisziplinär sein. Aus diesem Grund hat der BVMed das Gesprächsformat „Eine Stunde Wunde“ ins Leben gerufen. Das virtuelle Forum diskutiert alle zwei Monate die unterschiedlichen Themen der Wundversorgung. „Wir streben einen möglichst breiten Austausch zwischen allen Beteiligten in der Behandlung, Pflege und Versorgung von Wunden an. Unser Fokus ist eine gezielte, praxisnahe Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema, die sicherlich auch interessante Perspektivwechsel ermöglicht. Interessierte sind eingeladen, nicht nur daran teilzunehmen, sondern auch sich mit Themen einzubringen“, so BVMed-Expertin Juliane Pohl.
pi BVMed, 08.11.2022